Leidenschaft für Bücher

Denn ohne Bücher können wir nicht sein!

Die Zeitung von gestern wandert ins Altpapier und die ausgelesene Zeitschrift vergessen wir im Zug. Nur das gerade gelesene Buch, das kommt mit. Es wird sorgfältig in die Tasche gepackt und anschließend zurück ins Regal gestellt – ganz gleich, ob wir es noch einmal lesen wollen oder auch nicht. Ein Buch lassen wir nicht einfach irgendwo liegen, und schon gar nicht würden wir es wegwerfen oder dem Recycling überlassen. Das Buch hat eine Sonderstellung, einen Ehrenplatz. Denn Bücher lieben wir – leidenschaftlich.

Mit dieser Leidenschaft sind wir nicht allein. Geben Sie doch einmal spaßeshalber „Plädoyer“ und „gedrucktes Buch“ bei Google ein und Sie kriegen 132.000 Ergebnisse in 0,59 Sekunden: Das Netz ist voll mit Blogs und sonstigen Webeinträgen, die sich alle für das gedruckte Buch stark machen. Die Autorinnen Franziska Gastl und Johanna Frenz forderten in der Westfalenpost: „Helft mit, das gedruckte Buch unsterblich zu machen!“ und die erste 16-jährigen Verena Niemann sorgte sich zum Welttag des Buches, dass in zehn Jahren der Welt-E-Book-Tag begangen wird.

Schaut man sich allerdings die Zahlen und Fakten an, so glaube ich, dass diese Sorge unbegründet ist. Der Stellenwert des gedruckten Buches ist definitiv nicht gefährdet. Es gibt schließlich gute Gründe dafür, warum Ikeas meistverkauftes Produkt nach wie vor das Bücherregal Billy ist.

Fast 90.000 Bücher sind nach den Zahlen des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels im Jahr 2015 in Deutschland auf den Markt gekommen. 9,188 Milliarden Euro setzte der Buchhandel im selben Zeitraum mit Büchern und Fachzeitschriften um. Der Anteil der ­E-Books daran beträgt nicht einmal 5 Prozent und das ehemals dynamische Wachstum in diesem Segment ist deutlich abgeflacht. Aktuell sprechen wir 5,6 Prozent der Gesamtbevölkerung, die E-Books kaufen. Dem stehen rund 60 Prozent gegenüber, die sich an gedruckte Bücher halten.

Wenn wir ein Buch kaufen, dann nehmen wir es mit einer gewissen Ehrfurcht in die Hand, betrachten und befühlen es, fahren mit den Fingerspitzen vorsichtig über geprägte Einbände, befühlen das Papier, blättern vorsichtig, als könnten wir es sonst versehentlich zerstören (dabei halten die meisten Bücher durchaus etwas aus), wir riechen sogar daran – oder nehmen zumindest im Unterbewusstsein den typischen Geruch des Druckprodukts wahr.

Wir fühlen uns wohl im Buchladen mit Regalen voll von gebundenem Papier und es ist kein Wunder, dass sich zunehmend kleine Lesecafés etablieren, in denen man schmökern, stöbern und nebenbei einen Cappuccino genießen kann.

Wir stöbern in Antiquariaten, lassen uns faszinieren von vergilbten Seiten und alter Schrift. Wir kaufen die Klassiker der Weltliteratur, ohne sie wirklich lesen zu wollen, denn wenn wir ehrlich sind, liegt auf dem Nachttisch der neueste Simon Beckett.

Aber was ist es, dass uns beim gedruckten Buch inne halten lässt?

Was macht diese zwischen zwei Buchdeckel gepressten Seiten zu etwas besonderem? Was macht diese Leidenschaft aus?

An den Inhalten kann es eigentlich kaum liegen. Ein Großteil der im Handel verfügbaren oder in unseren Regalen stehenden Literatur ist schnöde Gebrauchs-, manchmal sogar Wegwerfliteratur, frei nach dem Motto einmal lesen, nie mehr anfassen. Aber wir werfen nicht weg – im Gegenteil: Wir sammeln. Wörter, Kapitel, Ausgaben, Editionen. Wir sortieren nach Buchstaben, nach Größe, nach Farben, nach Einband und nach Zweck. Wir stellen, wir stapeln, wir präsentieren, aber ins Altpapier geben wir unsere Schätze nicht. Denn oft genug sind sie genau das: kleine Schätze auf schier unendlich viele Seiten gepackt. Kleine Kunstwerke, ein Stück Kultur, das bestenfalls verschenkt wird – und auch nur, um Platz für Neues zu schaffen.

Vielleicht ist es ja dieser kulturelle Aspekt. Die Geschichte, die das physisch greifbare Buch mit sich herumträgt. Nicht umsonst stehen wir immer wieder staunend wie kleine Kinder vor alten Handschriften, die wir nur durch dickes Panzerglas betrachten dürfen, und bewundern mittelalterliche Buchmalerei, die kunstvollen Initialen und das regelmäßige Schriftbild. Und nicht umsonst bezahlen wir 13 Euro und stehen eine Dreiviertelstunde lang Schlange, nur um zum Beispiel im Trinity College in Dublin das „Book of Kells“ zu sehen sowie die alte Bibliothek mit ihren rund 200.000 Büchern. Und immer wieder gab es Bücher, die buchstäblich die Welt verändert haben.

Oder liegt es denn an dem, was wir irgendwie unspezifisch unter dem Oberbegriff Anmutung zusammenfassen? Immerhin hat das gedruckte Werk erheblich mehr zu bieten als 1500 Zeichen auf einem 6-Zoll-Display. Ein stilvolles Cover, Druck und Veredelung passend zum Inhalt gewählt. Ein ausgewogener Satzspiegel, die sorgfältig ausgesuchte Schrift, ein Zeilenabstand, der zur Schriftgröße passt, ein Satz, der den Namen auch verdient und der der Seite ein harmonisches Gesamtbild gibt. Ein Buch ist schließlich auch etwas fürs Auge.

Doch nicht nur das Auge kommt auf seine Kosten. Hinzu kommt das, was ein Buch mit uns macht, wenn wir es in die Hand nehmen. Der Einband, geprägt, lackiert, kaschiert, graviert, manchmal aus Pappe, manchmal aber auch teuer mit Leinen und Leder überzogen. Die weiche Oberfläche der Seiten, meist Werkdruck, offen, holzhaltig mit gelblichem Einschlag im Weiß. Der Geruch, den zwar nicht unsere Nase, wohl aber unser Unterbewusstsein wahrnimmt, wenn wir das Buch aufschlagen. Das Geräusch des Papiers, anhand dessen wir genau wissen, ob wir nun lesen oder eilig suchen oder uns einfach nur per Daumenkino einen ersten Eindruck verschaffen.

Vermutlich ist es die Mischung aus all dem, das uns am Buch so fasziniert und uns immer wieder zum Printprodukt greifen lässt, auch wenn wir so viel schwerer daran zu tragen haben. Print wirkt, aber wiegt auch. Aber meistens ist es das wert.